Voigtländer Bessa R3A
Seit 1999 produziert der japanische Hersteller Cosina unter dem Markennamen Voigtländer Messsucherkameras und Objektive mit M39-Schraubgewinde sowie neuerdings auch mit dem Leica-M-Bajonett. Auf der Photokina 2004 wurden zwei neue Kameragehäuse, die Bessa R2A und R3A angekündigt und eines der ersten R3A-Gehäuse hat sich, wenn auch verspätet, zu einem Praxistest in die Redaktion verirrt.

Unsere Geschichte beginnt diesmal so: Es waren zwei kleine Schachteln, die ich auf meinem Schreibtisch vorgefunden habe. Die Schachteln waren so klein, dass ich sie inmitten der großen Papierstapel auf meinem Schreibtisch beinahe nicht gesehen hätte. Die eine, etwas größere Schachtel war schwarz und trug die Aufschrift BESSA-R3A BODY. Die andere, etwas kleinere Schachtel war ganz in hellgrün und trug die Aufschrift NOKTON CLASSIC 40mm F1.4. Als ich die Schachteln gesehen hatte musste ich sie natürlich sofort öffnen und den Inhalt einer genauen Prüfung unterziehen. Was zum Vorschein kam, sah auf den allerersten Blick wie eine Kopie einer Leica-M aus. Doch das scheinbare Plagiat entpuppte sich sehr schnell als eigenständige Konstruktion und damit begann ein interessanter Praxistest.
Beginnen wir mit dem Äußeren und arbeiten wir uns dann zu den inneren Werten der Kamera vor. Hat man das Gehäuse aus seiner Schachtel befreit liegt eine kompakte Kamera mit einem Lebendgewicht von einem knappen halben Kilogramm in der Hand. Das Design ist konventionell, liegt gut in der Hand und wirkt vom Fleck weg vertraut. Wer, so wie ich, in den frühen 1980er Jahren zu fotografieren begonnen hat denkt sich zuerst, dass die Zeit stehen geblieben ist. Ich bin mir nicht sicher, ob die Bessa R3A eine oder keine Kamera für Designfetischisten ist. Sicher bin ich nur in Bezug auf die Größe: Die ist nämlich ideal - groß genug um die Kamera gut in der Hand halten zu können und klein genug damit man sie überall mitnehmen kann.

Viele Teile der Bessa R3A sind aus Metall gefertigt, einige auch aus Kunststoff was dem Gerät an sich aber nicht abträglich ist. Die Verarbeitung ist sehr gut und ordentlich, auch bei kritischer Betrachtung sind mir keine diesbezüglichen Mängel aufgefallen. Das Gehäuse ist schwarz lackiert, wobei die Qualität der Lackierung eher schon die Bezeichnung Beschichtung verdienen würde. Gut gemacht ist auch die Struktur der aus Kunststoff gefertigten Kamerarückwand, bei der man erst sehr genau hinsehen muss, um die unterschiedlichen Materialien zu erkennen. Die optimale Mischung aus hochwertiger Verarbeitung und wirtschaftlicher Fertigung setzt sich bei den Bedienelementen fort. Auch da ist nicht sofort klar was aus Metall und was aus Kunststoff hergestellt ist, alle Teile passen gut zusammen und ergeben ein harmonisches Ganzes. Die Gummierung ist ausreichend dick, sauber verklebt und vor allem griffgünstig, damit man die Kamera gut halten kann. Meine Empfehlung: Mit dem originellen manuellen T-Winder liegt die Kamera noch besser in der Hand, dafür wird sie aber auch um etwa 5mm höher.

Die Anzahl der Bedienelemente reduziert sich auf das Notwendigste. Mit der Rückspulkurbel und der Objektiventriegelung sind es gezählte sieben Bedienelemente. Das Einstellrad an der Kameraoberseite übernimmt die zentrale Rolle bei der Bedienung. Hier erfolgt die Umschaltung von manueller Bedienung auf Zeitautomatik sowie die Einstellung der Filmempfindlichkeit. Sehr gut gefallen hat mir aber die Belichtungskorrektur für die Zeitautomatik, die man ebenfalls mit dem Wählrad festlegt. Im Großen und Ganzen hat Cosina/Voigtländer hinsichtlich der Bedienung das Rad nicht neu erfunden aber anhand bewährter Vorgaben eine perfekt und vor allem schnell bedienbare Kamera zustande gebracht.
Technisch gesehen unterscheiden sich die Bessa R2A und R3A lediglich durch das Suchersystem. Die R2A hat 0,7-fache Suchervergrößerung und eingespiegelte Begrenzungen für 35mm, 50mm, 75mm und 90mm Objektive während das Modell R3A eine 1,0-fache Suchervergrößerung und eingespiegelte Begrenzungen für 40mm, 50mm, 75mm und 90mm Brennweiten hat. Die Auswahl der eingespiegelten Objektivbegrenzungen muss allerdings manuell auf das angesetzte Objektiv abgestimmt werden. Vergisst man diese Einstellung, dann kommt irgendwas aufs Bild weil eben die eingespielte Begrenzung nicht stimmt. Ist man von der Leica-M die automatische Einspiegelung der Begrenzungen für das verwendete Objektiv gewöhnt, gibt es am Anfang teilweise Konfusion, weil nach dem Objektivwechsel der Blick in den Sucher noch immer dieselben Formatbegrenzungen zeigt. Irgendwann vergisst man nicht mehr auf das Umschalten und von da an hat man ein unverkrampftes Verhältnis zur Bessa. Die Fokussierung geht schnell und präzise vor sich, auch bei schlechten Lichtverhältnissen ist der Messsucher schön hell, das kennt man ja von anderen derartigen Systemen. Die Informationen im Sucher sind als rote LED-Anzeige ausgebildet, angezeigt werden allerdings nur Verschlusszeiten und keine weiteren Informationen. Der Sucher ist übrigens auch für Brillenträger akzeptabel, wenn auch nicht optimal.

Die Bessa R3A ist eine elektronische Kamera, die von zwei Stück LR44 Knopfzellen mit Energie versorgt wird. Ohne Batterien geht gar nichts, denn der Verschluss der Bessa R3A ist elektronisch gesteuert. Es handelt sich dabei um einen hochmodernen vertikal  ablaufenden Metallschlitzverschluss, der neben einem Zeitenbereich von 1 bis 1/2000 Sekunde auch eine brauchbare 1/125 Sekunde als Blitzsynchronzeit zustande bringt. Auch wenn man mit einem Objektiv wie dem Nokton 40mm/1.4 überwiegend Available-Light-Fotografie betreiben wird, es ist ganz nützlich auch eine brauchbare Synchronzeit zur Verfügung zu haben, wenn man sie einmal braucht. Schön, dass auch an Fotografen mit einer Studioblitzausrüstung gedacht wurde: Es gibt neben dem Mittenkontakt auch einen Anschluss für ein Synchronkabel. Der Synchronkabelanschluss liegt an der linken Seite der Kamera, wobei auch Voigtländer auf eine fummelige Plastikabdeckung setzt, die den Anschluss schützen soll und die spätestens nach dem ersten Shooting verloren ist. Die Belichtungsmessung erfolgt, ähnlich wie bei den Leica M-Kameras, durch das Objektiv, auch die R3A hat eine Messzelle, die über einen hellgrauen Hilfsverschluss reflektiertes Licht für die Ermittlung der richtigen Belichtung auswertet.
Das Voigtländer Objektivprogramm für Kameras mit M39-Schraubgewinde bzw. dem Leica M / Voigtländer VM-Bajonett kann sich sehen lassen. Es wird für jeden Geschmack  etwas geboten, der Brennweitenbereich reicht dabei vom 12mm-Super-Weitwinkel bis zum 90mm-Portrait-Tele. Die Bessa R3A wurde mit dem neuen Nokton Classic 40mm/1.4 getestet. Von der Brennweite gesehen bereits ein Normalobjektiv, was auch der diagonale Bildwinkel von 56° bestätigt. Es eignet sich gut für Allroundfotografie und ist vor allem für Anwender interessant, die mit einem Objektiv sowohl Objekte als auch Personen aufnehmen möchten.

Auch beim Nokton Classic setzt sich die hohe Fertigungsqualität fort. Das Bajonett und der Schneckengang für die Entfernungseinstellung sind aus Metall gefertigt. Der Entfernungs- und der Blendenring laufen satt und spielfrei, der Blendenring rastet übrigens auch bei halben Blenden. Ein interessantes Detail am Rand: Setzt man das Nokton Classic 40mm an eine Leica M Kamera an, so wird im Sucher die Begrenzung für das (kürzere) 50mm Objektiv eingespiegelt. Das ist durch aus sinnvoll, denn besser man zu viel auf dem Negativ (oder Dia) als zu wenig. Das Voigtländer VM-Bajonett ist mit dem Leica-M Bajonett voll kompatibel. Alle Objektive mit dem VM-Bajonett eignen sich uneingeschränkt auch für die Leica M Kameras. Sollte die eine oder andere Brennweite in einer Leica-M-Ausrüstung fehlen, dann empfiehlt sich durchaus der Blick auf das Objektivprogramm von Voigtländer. Wie der Test zeigt sind die optischen Leistungen tadellos und auch der Preis der einzelnen Objektive treibt einem keine allzu großen Schweißperlen auf die Stirn.

Naturgemäß drängt sich bei einer Kamera wie der Voigtländer Bessa R3A der Vergleich mit einer Leica M-Kamera auf. Ich finde einen derartigen Vergleich nicht fair und nur bedingt sinnvoll. Natürlich verfolgen beide Kameras ein ähnliches Konzept und die Ausgangspunkte bei der Konstruktion waren wahrscheinlich gleich, nämlich ein Werkzeug für bestmögliche Bildqualität zu schaffen. Die Unterschiede liegen lediglich in der Wahl der Mittel. Während man bei der Marke mit dem roten Punkt bei der Konstruktion traditionell aus dem Vollen schöpft und das technisch Machbare mit allen erdenklichen Mitteln immer weiter ausreizt liegt der Charme einer Bessa einfach darin, dass man sich höchste Bildqualität auch mit einem durchschnittlichen Budget leisten kann. Die Bessa R3A als eine „Billig-Leica  zu bewerten würde sie abqualifizieren weil sie ganz einfach keine Leica-Imitation ist. Dafür ist nicht nur ihr Preis mit etwa 690 Euro zu hoch, es sind viele Details, die sie zu einer eigenständigen Kamera machen. Teilweise sind Detaillösungen sogar besser als bei einer Leica-M, da wäre z.B. der größere Sucher oder das griffigere Einstellrad oder der leichter bedienbare Ein-/Aus-Schalter zu nennen. Auch die an einem Gelenk fest montierte Filmrückwand ist meiner Ansicht nach praktischer als das Deckelsystem der Leica. Andere Details lassen, wie überall anders auch, Raum für Verbesserungen zu. Es ist zum Beispiel nicht ganz klar, warum auf einen Synchronkabelanschluss beim Blitz vergessen wurde oder warum die Belichtungszeit bei aktivierter Belichtungskorrektur blinkt und es kein Symbol im Sucher dafür gibt.
Wie schon erwähnt liegen die Stärken der Bessa R3A nicht nur im Bereich Größe. Man kann zwar die Kamera mit abgenommenem Objektiv gut in einer Jackentasche einstecken, das Objektiv passt dann in eine andere Tasche und man kommt ganz gut ohne Fototasche aus. In diesem Fall sollte man allerdings den Objektivrückdeckel und den Gehäusedeckel der Kamera dabei haben. Auch die Bildqualität ist, wie die verschiedenen Beispiele zeigen, wirklich vom Feinsten. Die R3A eignet sich auch gut um unbemerkt zu fotografieren. Das Auslösegeräusch ist systembedingt sehr gering und man kann völlig ohne jede Auslöseverzögerung aufnehmen. Sie fügt sich harmonisch in eine bestehende Leica M-Ausrüstung ein. Ein erschwingliches Zweitgehäuse ist vielleicht auch für den einen oder anderen Leica M-Freak ein Thema.
Fazit: Schön, dass es die Bessa gibt. Genau wie die Leica-M ist sie ein Nischenprodukt für Qualitätsfanatiker. Wer auf das Prestige der deutschen Edelkamera verzichten kann bekommt ein durchdachtes und praxistaugliches System ohne wesentliche Schwächen zu einem fairen Preis. Das Nokton Classic 40mm/1,4 hat einen sehr guten Eindruck hinterlassen und bietet Abbildungsqualität auf höchstem Niveau und ist eine gute Wahl für alle Gelegenheiten, wo man mit kleinster Ausrüstung maximale Aufnahmechancen haben möchte.
 
Update Juni 2022: Von 2005 bis 2022 habe ich mit der Bessa geschätzt dreißig Filme belichtet, aber bereits nach wenigen Rollen hat die Kamera immer wieder Probleme mit dem Filmtransport entwickelt. Diese waren nicht mehr in den Griff zu bekommen. Das Kapitel Bessa Sucherkameras wurde nun nach einigen erfolglosen Reparaturen abgeschlossen. Die R3A wurde für ganz wenig Geld an einen enthusiastischen Bastler abgegeben, der sie ein weiteres Mal herrichten möchte.
Plus:

- Solide Bauweise und sehr schöne Verarbeitung
- Leica M-Mount für riesige Objektivauswahl
- LR44 Batterien zur Stromversorgung sind überall erhältlich



Minus:

- Fummelige Plastikabdeckung für Synchronanschluß
 (wie bei vielen anderen Kameras auch)

Juli 2005
 
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Die Voigtländer Bessa R3A ist eine traditionelle aber doch moderne Messsucherkamera. Obwohl sie viel preiswerter als eine Leica M ist, liegt die Verarbeitungsqualität auf einem sehr hohen Niveau.

Wahlschalter für die im Sucher eingespiegelte Objektivbrennweite.

Das Wahlrad ist ein Kombiinstrument mit vielen Funktion. Trotzdem ist die Kamera gut zu bedienen.

Die Voigtländer Bessa R3A ist mit einem Leica-M-Objektivanschluß ausgestattet. Man kann daran fast alle älteren und neuen Leica-M-Objektive sowie Voigtländer Objektive mit Leica-M-Anschluß verwenden.