Objektive und die Perspektive

Interaktion mit den Lesern von troeszter.net ist mir wichtig und ich freue mich, wenn es Rückmeldungen gibt. Das zeigt mir, dass meine Inhalte gelesen und hinterfragt werden. Wenn eine Frage immer wieder auftaucht, ist sie für einen guten Teil der Leser wichtig. Das nehme ich ab und zu zum Anlass dieser Frage eine eigene Seite auf troeszter.net zu widmen. Konkret geht es um meine Vorliebe für weitwinkelige Objektive, welche ich den Normalbrennweiten vorziehe obwohl ein Weitwinkel angeblich die Perspektive verzerrt. Im Kleinbildbereich sind das Brennweiten von 24mm oder 28mm und damit verbunden die Fragen: Ändert ein Weitwinkelobjektiv die Perspektive? Dehnen und vergrößern Weitwinkelobjektive den abgebildeten Raum? Bilden Weitwinkelobjektive die Objekte kleiner ab? Ist der große Bildwinkel an den Verzerrungen schuld? Erweitern wir die Fragestellung auch auf Teleobjektive: Komprimieren sie den Raum und schrumpfen die Abstände zwischen den Objekten?
 
Zuerst ein wenig Theorie. Menschen sehen dreidimensional, wir können Höhen-, Breiten- und Tiefenausdehnung ganz eindeutig unterscheiden. Fotokameras können aber, bis auf Stereokameras als einzige Ausnahme, nur zweidimensional abbilden. Die Höhe und die Breite sind erkennbar, die räumliche Ausdehnung fehlt aber. Wird Dreidimensionales zweidimensional abgebildet, laufen Strahlen/Linien von allen Gegenstandspunkten in einem scheinbar unendlich entfernten Zentralpunkt zusammen. Gegenstände, welche sich näher an der Kamera befinden werden größer abgebildet, weiter entfernte Objekte kleiner. Parallele Linien, wie zum Beispiel Schienen oder Straßen, erscheinen nicht mehr parallel und laufen in der Ferne zusammen. Diese Zentralperspektive, manchmal altmodisch als Zentralprojektion bezeichnet, kennzeichnet die Wiedergabe eines räumlichen Abbildes auf einer ebenen Fläche. In der Fotografie haben wir mit der Zentralperspektive bei allen Brennweiten zu tun. Warum der Mensch ein zweidimensionales Foto als Abbild der dreidimensionalen Wirklichkeit akzeptiert, hat mit Logik sowie unseren Erfahrungswerten zu tun. Wir lernen im Lauf des Lebens ein gewisses „Sehverhalten" und das Gehirn ist aufgrund unserer Erfahrungswerte blitzschnell in der Lage ein zweidimensionales Bild in ein Dreidimensionales umzudenken, freilich ohne einen realen räumlichen Effekt generieren zu können. Ein paar Beispiele: Ein Objekt verdeckt teilweise ein anderes Objekt bedeutet, dass das sichtbare Objekt vor dem teilverdecktem Bildteil stehen muss. Die Tiefenstaffelung in einem Bild erfolgt immer derart, dass Gegenstände, welche sich weiter weg vom eigenen Standort befinden kleiner als jene in der Nähe dargestellt werden. Objekte in der Ferne erscheinen zudem weniger farbgesättigt und heller als jene in der Nähe. Bei Objekten in der Ferne kann man Details schlechter oder gar nicht erkennen. Das alles klingt gut und schön, man ist aber weit davon entfernt irgendeine Regel für perspektivische Wiedergabe verschiedener Objektive zu erkennen.
















 

 

 

 

 

 

 


 


Um beim so beliebten keep it simple zu bleiben, schlagen wir für eine anschauliche Erklärung einfach beim "Meister himself" nach. Andreas Feininger gibt in seinem Buch Die Hohe Schule der Fotografie eine Anleitung, mit der man sich - auch noch im digitalen Zeitalter - die Sache mit der Perspektive bei den unterschiedlichen Brennweiten erschliessen kann. Das funktioniert ziemlich einfach: Man nimmt sich eine Kamera mit einem Zoomobjektiv und stellt sich auf einen leicht erhöhten Platz, der eine gute Übersicht bietet. Irgendwo in der Mitte des Motivs sollte es in hundert bis zweihundert Metern Entfernung ein markantes Objekt mit einer gewissen Tiefenausdehnung geben, weil man damit später leichter einen immer gleichen Ausschnitt bestimmen kann. Mit unterschiedlichen Brennweiten fertigt man Fotos an, auf denen das vorher festgelegte markante Objekt immer ungefähr in der Mitte zu liegen kommt. In einem Bildbearbeitungsprogramm schneidet man aus den verschiedenen Fotos mit den unterschiedlichen Brennweiten immer exakt denselben Ausschnitt heraus. Sätestens jetzt erkennt man, dass alle Ausschnitte die gleiche Perspektive besitzen. Bis auf Helligkeits- und Auflösungsunterschiede sehen alle Ausschnitte völlig identisch aus. Nirgends findet sich eine Spur gedehnter oder komprimierter Perspektive.

Die bildlichen Veränderungen in Form von Dehnung oder Verdichtung ergeben sich rein aus der Änderung der Distanzverhältnisse beziehungsweise aus dem Verhältnis von der Vordergrundentfernung zur Hintergrundentfernung. Oder noch einmal anders ausgedrückt aus dem Abstand von Filmebene zu wenig entfernten Objekten und dem Abstand von der Filmebene zu den weit entfernten Bildteilen. Ein Fotograf, der die Perspektive kontrollieren will, muss lernen die Verzerrungen in seinen Bildern zu kontrollieren. Der Satz stammt natürlich nicht von mir, sondern von Andreas Feininger, erklärt aber, warum man auch Weitwinkel- oder leichte Teleobjektive als „normale" Brennweiten nutzen kann. Für gute Ergebnisse ist man genötigt Distanzen zu verändern um die Relation von Vordergrund zu Hintergrund zu optimieren und dem Fotografen kommt letztendlich auch noch die Aufgabe zu, optische Eigenarten bestimmter Objektivtypen zu kompensieren oder in die Bildgestaltung einzubeziehen.

Bei Weitwinkelobjektiven, ergibt deren großer Bildwinkel bei geringer Distanz zum Objekt eine Veränderung der Proportionen durch die enorme Fluchtperspektive. Vereinfacht gesagt wird ein nahes Objekt zu groß und ein entferntes Objekt zu klein abgebildet. Zusätzlich treten durch diesen Effekt geometrische Verzerrungen auf, welche zum Beispiel rechte Winkel in spitze Winkel verändern werden. Das kennt man als typischen Weitwinkeleffekt oder ungenau ausgedrückt als Weitwinkelperspektive.

Bei Teleobjektiven verschieben sich die Proportionen bedingt durch eine reduzierte Fluchtperspektive etwas anders. Nahe Objekte erscheinen von normaler Größe während entfernte Objekte proportional zu groß abgebildet werden. Scheinbar schrumpfen dadurch die Abstände, lassen die Objekte näher zusammenrücken und der Eindruck eines flachen, komprimierten Raumes entsteht.

 

Quod erat expectandum folgen genau an dieser Stelle die unvermeidlichen Vergleichsaufnahmen. Wieder einmal vom allseits bekannten Reumannplatz in Wien Favoriten, aufgenommen mit einer Minolta Dynax 7000i und dem AF 28-105mm-Objektiv zur Dynax-Serie auf dem Ilford PAN 400 entwickelt im Wehner-Entwickler.

Bei allen Ausschnitten ist die Tiefenausdehnung des großen Gebäudes gleich. Weder bei der kürzesten Brennweite 28mm noch beim 105mm-Tele sind Unterschiede zu sehen. Auch der Abstand zwischen dem Gebäude im Vordergrund und jenem im Hintergrund ist in jedem Ausschnitt gleich und ändert sich von 28mm bis 105mm nicht. Selbiges trifft auch auf den Baum zwischen den Gebäuden zu. Er bleibt immer an seiner Position gleich weit vom vorderen und hinteren Gebäude entfernt. Natürlich sind auch die Fensterabstände beim Gebäude im Vordergrund auf allen Ausschnitten gleich.

Jetzt folgen drei (simulierte) Bilder, welche mit einer Perspektivänderung, dem Abbildungsmaßstab und dem Fluchtpunkt zu tun haben. Verglichen wird Weitwinkel-, Normal- und Teleobjektiv. Im Unterschied zu der Bildserie oben wird das Haus im Vordergrund immer gleich groß abgebildet, der Abbildungsmaßstab ändert sich bei ihm also nicht. Um das mit verschiedenen Objektivbrennweiten zu erreichen, ist es notwendig den Abstand zwischen Haus und Kamera zu verändern. Je nach Objektiv und Objektgrößen kann sich das zu einem Wandertag auswachsen und die Entfernungsveränderung geht auch mit einer Änderung der Perspektive einher. Durch die große Fluchtperspektive beim Weitwinkelobjektiv erscheint der Wohnblock im Hintergrund klein, durch die stark reduzierte Fluchtperspektive des Teleobjektivs dagegen viel größer und wegen der extrem geringen Schärfentiefe möglicherweise unscharf.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus diesen Versuchen kann man ableiten, dass bei Aufnahmen vom gleichen Standort die Brennweite ausschließlich den Abbildungsmaßstab bestimmt. Wie groß ein Objekt auf dem Negativ abgebildet wird ist immer brennweitenabhängig, während der Abstand zum Objekt für das Ausmaß der Verzerrung zuständig ist. Vergleicht man Weitwinkel- bis Teleobjektiv stellt man fest, dass der Abbildungsmaßstab mit der Verlängerung der Brennweite größer und bei Verkürzung der Brennweite kleiner wird. Verändert man den Standort, ändert sich die Perspektive und die Größenverhältnisse der Objekte auf dem Bild. Die Zusammenhänge:

 

Kurze Brennweite = größerer Bildwinkel = kleinerer Maßstab

Lange Brennweite = kleinerer Bildwinkel = größerer Maßstab

Verzerrungen ergeben sich aus dem Abstand der Kamera zum Objekt ...

... und sie sind Teil optischer Eigenarten eines Objektivs (z.B. Bildfeldwölbung)

Optische Täuschungen können zusätzliche Abbildungsfehler verursachen

 

Für ein Weitwinkel- oder Teleobjektiv anstelle eines Normalobjektivs ergibt sich bei der Bildgestaltung also die Notwendigkeit ständig die Objektabstände zu variieren und gleichzeitig die Verzerrungen unter Kontrolle zu halten. Das kann bei einem Weitwinkel mit einiger Laufarbeit und beim Teleobjektiv mit großen Abständen verbunden sein. Zusätzlich ergibt sich die Erkenntnis, dass es das eine Universalobjektiv für alle Gelegenheiten nicht geben wird. Für allgemeine Aufnahmen liegt man beim Kleinbildformat mit einer Brennweite von 28mm bis 35mm immer so einigermaßen richtig.

Gibt es hingegen einen vorgegebenen Abbildungsmaßstab kann es sein, dass ein universell verwendbares Objektiv ungeeignet ist, weil nur ein bestimmter abweichender Brennweitenbereich gute Ergebnisse ermöglicht. Das beste Beispiel ist die Portraitfotografie. Die Köpfe der Menschen sind Objekte mit nur geringer Variation in der Größe. Demnach hat man es sowohl beim größten als auch beim kleinsten Kopf mit einem sehr ähnlichen Abbildungsmaßstab zu tun. Mit einem Weitwinkelobjektiv wäre man bei formatfüllender Abbildung viel zu nahe am Objekt. Mit entsprechenden Folgen in Form verunstalteter Gesichter. Reduziert man den Abbildungsmaßstab indem man den Abstand erhöht, erscheinen die Proportionen der Gesichter normal, nur ist man von einer brauchbaren Abbildungsgröße weit entfernt. Das Bild würde aus einem kleinen Kopf inmitten eines großen Hintergrundes bestehen. Die nahe liegende Lösung für Portraits ist, die Objektivbrennweite für einen größeren Abbildungsmaßstab zu erhöhen, damit Köpfe und Gesichter auch bei optimaler Größe am Negativ noch die richtigen Proportionen behalten. Das funktioniert schon bei 50mm Brennweite in brauchbarem Rahmen, längere Brennweiten mit dem damit verbundenen größeren Abbildungsmaßstab sind deutlich besser geeignet und das ist unter anderem der Grund, warum "Portraitobjektive" immer in einem Brennweitenbereich von 80mm bis 135mm liegen.

So weit die Erkenntnisse aus den Vergleichsaufnahmen. Wer den Bildern skeptisch gegenüber steht, weil auf den kleinen Ausschnitten die Blickrichtung wegen einer optischen Täuschung etwas unterschiedlich zu den großen Bildern erscheint, kann gerne eigene Ausschnitte anfertigen, die Perspektive kontrollieren und noch andere eigene Tests machen. Ich habe die Bilddateien so wie sie aus dem Scanner gekommen sind in eine ZIP-Datei gestellt:

 

Vergleichsaufnahmen als Download

 

 

 

 

Jänner 2024




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Die Zentralperspektive: In einem einzigen Fluchtpunkt treffen alle Strahlen/Linien zusammen. Die Zentralperspektve täuscht auf einer ebenen Fläche Räumlichkeit vor. Das funktioniert auf einem Foto wie oben, aber natürlich auch in der Malerei und im grafischen Bereich.
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