Die optimale analoge Nikon-Ai/AiS-Ausrüstung - Teil 8: Nikkor 28-50mm/3.5 AiS
Wie aus dem ersten Teil dieser Serie bekannt sein dürfte, war das Nikkor 28-50mm/3.5 über Jahre eines meiner Lieblingsobjektive. Von den drei Nikkor-Weitwinkel-Zooms mit Brennweiten in Bereichen zwischen 25mm und 50mm ist es das eigenwilligste Objektiv mit ein paar Besonderheiten.

Das Nikkor 28-50mm/3.5 wurde nur zwei Jahre lang produziert und hat ein Produktionsvolumen von geradezu lächerlichen 21.000 Stück. Es handelt sich um ein Push-and-Pull-Zoom, also um ein Ein-Ring-Schiebezoom, eine Bauart, welche für den kurzen Brennweitenbereich eher untypisch ist. Einige Nutzer haben sich am Design gestört und das 28-50mm-Objektiv der Nikon Series E zugerechnet, weil es dem 36-72mm-Zoom der Series E ähnlich sieht. Das Objektiv ist nur 66 Millimeter lang bei einem Durchmesser von 70 Millimeter und etwa 400 Gramm schwer. Doch das kompakte Äußere täuscht und das optische System ist für ein 1,8-fach-Zoom recht beeindruckend. Opulent sind die neun Linsen in neun Gruppen bei einer konstanten Lichtstärke von 1:3.5. Das 28-50mm/3.5 hat es ausschließlich als AiS-Version gegeben. Nikon Integrated Coating (NIC) steht ebenfalls auf der „Zutatenliste" und auch der in den frühen 1980ern obligatorische Macro-Modus bis zum Maßstab 1:4. Der Objektivtubus, der Zoom-Ring und der Blendenring bestehen aus anodisiertem Aluminium, das Objektivbajonett ist aus Messing gedreht und hartverchromt. Bei solchen Werkstoffen ist es also nix mit Series-E und einer preiswert-Ausführung, der Hersteller hat da nur beim Design dezentes Understatement betrieben.
Das ist mein erstes Nikkor 28-50mm/3.5: gekauft habe ich es im Jahr 1984 und dann sehr viel benutzt. Nachdem ich mich nie in Krisengebieten im Dreck gewälzt habe und nur das übliche Tagwerk eines Pressefotografen in Form von Reportagen, Pressekonferenzen, Theaterfotografie und Feature-Fotos zu bewältigen hatte, ist es noch in einem sehr guten Zustand.
In meinem Fundus befinden sich zwei dieser Objektive und beide haben in etwa dieselben Eigenschaften. Ob sich die anderen 20.998 Objektive genauso verhalten, kann ich aber nicht versprechen. Das nur vorab, und schon geht es mit Fakten los, die ich mir selbst erarbeitet habe:

- Ein Nikkor 28-50mm/3.5 ist ein Objektiv für analoge Fotografie. Ich habe noch nie den Drang verspürt es an der Nikon Df zu verwenden. Einige wenige Testaufnahmen beim Selbstbau meiner HK-12-DIY-Gegenlichtblende mit der Nikon D700 waren aber zufriedenstellend.

- Bei offener Blende f3.5 reduziert sich vor allem im Weitwinkelbereich die Bildqualität. Der Kontrast ist dann etwas flau und die Bildschärfe erreicht noch nicht den Bestwert. An den Rändern wirkt das Bild kraftlos. Bei 50mm-Brennweite ist die Sache etwas besser, aber auch da ist keine überragende Bildqualität zu erwarten. Die Leistung bessert sich aber schon bei f4.0 und richtig gut ist das Objektiv zwischen Blende f5.6 und f11.0. Mehr abblenden bringt keine besseren Ergebnisse. Beugungsunschärfe nimmt dann wieder Bildqualität weg.

- Sauberkeit ist oberstes Gebot. Wenigstens was die Frontlinse dieser Optik betrifft. Schmutz und Schlieren bewirken je nach Lichtverhältnissen Kontrastminderung und Neigung zu Überstrahlungen. Ich bilde mir ein, dass auch ein schlechtes, sprich ein unvergütetes oder fein zerkratztes Schutzfilter gerade bei diesem Objektiv ziemlich ins Gewicht fällt und die Ergebnisse verschlechtert.

- Bei meinem DIY-Bericht zur Nikon HK-12 Gegenlichtblende habe ich schon erwähnt, dass das 28-50mm-Nikkor sehr empfindlich auf Streu- und Gegenlicht reagiert. Daran ändert auch die NIC-Mehrschichtvergütung nichts und gerade wenn man ohne HK-12 fotografiert, wird man immer wieder von kraftlosen Bildern heimgesucht. Die Verwendung der Gegenlichtblende halte ich bei diesem Objektiv für obligatorisch. Die Zahl der kontrast- und farbreduzierten Ausreißer wird damit auf wenige Aufnahmen gesenkt. Wer die HK-12 nicht bekommt oder nachbauen möchte, hat zwei Möglichkeiten. Eine Gegenlichtblende aus Gummi verwenden und deren Länge so weit kürzen, bis bei 28mm Brennweite keine Abschattungen am Rand auftreten. Die Nikon HN-2 wäre die zweite Alternative. Sie gehört zum 28mm-Festbrennweiten-Nikkor und erzeugt sicher keine schwarzen Bildecken. Was man tut ist Geschmackssache, aber das alles ist besser als keine Gegenlichtblende zu verwenden.

- Die Abbildung von Hintergrund-Unschärfe auf den Negativen ist gerade noch brauchbar und für Freisteller nicht der große Bringer. Das liegt in der Natur der Sache. Brennweitenbereich, Lichtstärke und optisches System werden in diesem Fall wenig dazu beitragen, dass das Objektiv ein Bokeh-Monster wird.

- In den 1980ern waren Objektive mit einer Macro-Funktion modern. Mit Baujahr 1983/84 ist diese Funktion in der Ausstattungsliste des 28-50ers selbstverständlich enthalten. Der Maßstab 1:4,8 geht für die schnelle Nahaufnahme unterwegs völlig in Ordnung und gegebenenfalls kann man noch eine Nahlinse anschrauben um die Naheinstellgrenze noch ein Stückchen zu verringern.

- Dieses Objektiv ist sehr kompakt und daher ideal für Reisen und Reportagen. Es ist weniger gut für Architekturfotografie verwendbar. Bei 28mm Brennweite ist die Bildfeldwölbung relativ ausgeprägt, sodaß man sie bei kritischer Betrachtung am Foto wahrnimmt. Vignettierung ist im Weitwinkel-Bereich ausgeprägter als bei 50mm und verschwindet bei f8.0 fast vollständig und dann zum Glück bei jeder Brennweite.

- Heute ist Blitzlichtfotografie im analogen Fotobereich nicht mehr wirklich ein wichtiges Thema, aber der Brennweitenbereich von 28 bis 50 Millimeter ist ideal fürs Blitzen. In Zeiten des legendären Metz 45CT hat man die Weitwinkelstreuscheibe aufgesetzt oder später beim Nikon SB-24 den Reflektor auf 28mm eingestellt und schon hatte man immer einen ausreichenden Leuchtwinkel. Eine ständige Anpassung des Reflektors an die Brennweite ist mit einem leistungsstarken Blitzgerät nicht erforderlich.
Bei 50mm Brennweite gibt es eine Macro-Einstellung bis zum Maßstab 1:4,8. Nice to have, aber sehr oft benutzt habe ich diese Funktion nie. Was mir sehr gut gefällt sind die bunten Linien der Schärfentiefe-Skala. Ein richtig farbenfrohes Objektiv mit schwarz anodisiertem Aluminium-Tubus.
Das Nikkor 28-50mm/3.5 ist sehr kompakt. Als "Einring-Zoom" kann man es schnell und mit lediglich zwei Fingern bedienen. Im Bild oben sieht man den Zoom-Ring in der Weitwinkelposition bei 28mm, das untere Bild zeigt die längste Brennweite 50mm.
Fazit: Die durchgehende Lichtstärke, eine solide optische Leistung sowie eine robuste mechanische Konstruktion sind die Merkmale eines ansonsten unauffälligen Objektivs. Es funktioniert wie es soll, man kann damit gute Bilder machen, es ist nicht zu groß oder zu schwer. Die Suche nach dem Zoom mit der super Lichtstärke und der überdrüber Bildqualität wird bei einem Nikkor 28-50mm/3.5 zwar nicht zu Ende sein, schraubt man die Erwartungen auf realistische Werte zurück, dann gibt es gerade bei diesem Objektiv viel Licht und wenig Schatten.

Das Austesten von Objektiveigenschaften und das echte Leben „sind zwei Paar Schuhe", wie man in Wien so schön sagt. Nur das echte Leben entscheidet, ob ein Objektiv bleiben darf oder gehen muß. Bei einem Neupreis von etwa 5.000 Schilling im Jahr 1984 - heute wären das um die 800 Euro - war man bei der gekauften Leistung durchaus anspruchsvoll und sogar heute darf man noch sehr gute Ergebnisse erwarten. Die durchgehende Lichtstärke von 1:3,5 war für ein Zoom recht ordentlich und hat seinerzeit den professionellen Touch unterstrichen. Bleibt man mit diesem Objektiv immer im Bereich von Blende f4.0 bis f11.0, kann man davon ausgehen, dass das Objektiv sehr hohe Ansprüche erfüllt. Es ist dann optisch so gut, dass damit auch moderate Ausschnitte vergrößert werden können und wenn es sein soll mit dem richtigen Film auch die eine oder andere Vergrößerung auf 50x70 Zentimeter möglich wird. Mit dem Nikkor 28-50/3.5 habe ich eine Zeit lang mein Geld verdient, es war mein Begleiter auf vielen Reisen und bei vielen beruflichen Einsätzen unter teilweise widrigen Bedingungen. Es hat mich optisch und mechanisch nie im Stich gelassen, und das ist es, was zählt. Was vielleicht noch ein Argument sein könnte - eine Nikon FE2 mit dem Nikkor 28-50mm/3.5 wiegt kaum mehr als 1.000 Gramm. Legt man noch ein Nikkor 105mm/2.5 zusätzlich auf die Waage bleibt die komplette Ausrüstung mit 1.500 Gramm erfreulich leicht.
Pro:

- durchgehende Lichtstärke 1:3.5

- aufwendiges optisches System

- robuste Konstruktion



Kontra:

- braucht unbedingt eine Gegenlichtblende: besser HK-12 oder mindestens HN-2

- sehr anfällig für schlechte Bildqualität schon bei leicht unsauberer Frontlinse